Konzerte Saison 1951-1952

  • 30.10.1951
  • 20:15
  • 26.Saison
Stadtcasino, Festsaal

Quatuor Pascal (Paris)

Dass auch Mozart das Leichtere, Freundliche beherrscht, zeigt das B-dur-Quartett. Und doch wird die Jagdmotivik im Kopfsatz nicht überbetont. Im Menuett verbinden sich die Ernsthaftigkeit der melodischen Linie im knapperen Hauptteil und tänzerische Heiterkeit imTrio. Zentrum des Werks ist mit seiner Intensität das Adagio, bevor das Finale an die heitere Grundstimmung des Kopfsatzes anknüpft. Auch dieser Satz ist eine Reverenz an Haydn. Mozart hatte den Satz zuerst imitatorisch kanonhaft beginnen wollen, um ihn dann von jeder spürbaren „schweisstreibenden Arbeit“ zu befreien. Vielleicht ist es das, was er mit der lunga e laboriosa fatica meinte: So lange feilen, bis das Schwere nicht mehr spürbar ist.
Drei Werke aus dem Kammermusikjahr 1842, zwei Streichquartette und das Klavierquartett, waren bzw. sind – rund ein Vierteljahr vor der 200. Wiederkehr von Schumanns Geburtstag – Teil unserer Konzertprogramme. Bereits zuvor hatte Schumann Interesse an der Komposition von Streichquartetten geäussert. Am 11. Februar 1838 schrieb er an Clara: „Auf die Quartette freue ich mich selbst, das Klavier wird mir zu enge, ich höre bei meinen jetzigen Kompositionen oft noch eine Menge Sachen, die ich kaum andeuten kann, namentlich ist es sonderbar, wie ich fast alles kanonisch erfinde.“ Es mag sein, dass bereits damals das eben entstehende op. 44 Mendelssohns für Schumann ausschlaggebend war, sicher war es das 1842. Denn Schumann machte vor der Komposition eingehende Studien von Vorbildern, zu denen natürlich Haydn, Mozart und Beethoven gehörten. Intensiv jedoch setzte er sich mit den 1839 im Druck erschienen Quartetten op. 44 seines Freundes Mendelssohn auseinander. Folgen davon sind nicht nur die Komposition, sondern wohl nicht zufällig die Anzahl von drei Werken und natürlich die Widmung der drei Quartette op. 41 an Mendelssohn. Und Schumann schloss sich – mehr als in anderen seiner Werke – mehr diesem Vorbild an als etwa Beethoven. Obwohl Mendelssohn, dem Schumann die drei Werke am 29. September 1842 durch Ferdinand David und seine Quartettfreunde aus dem Gewandhausorchester vorspielen liess, das 1. Quartett besonders gefiel, trägt vielleicht doch gerade das zweite Quartett, das kürzeste der Reihe, am meisten von Mendelssohn in sich. Es ist allerdings nicht der virtuose, übermütig-heitere Scherzo- und Elfenton, den wir hier vorfinden, sondern eine auch Mendelssohn durchaus eigene Besinnlichkeit verbunden mit einer keineswegs oberflächlichen Eleganz und Schönheit des Tones. Gleich der erste Satz, zwar Allegro vivace überschrieben, trotzdem eher ruhig gehalten, beginnt mit einer auf und ab schwingenden lyrischen Melodie. Der träumerische zweite Satz (As-dur) ist ein Variationensatz, doch nennt ihn Schumann quasi variazioni, weil er kühn mit der Variationsform umgeht. Ausgehend von einem 1832 entstandenen Larghetto (Nr. 13 aus den Albumblättern op. 124), von dessen drei „Strophen“ die dritte das eigentliche Thema für vier weitere Variationen liefert, kehrt Schumann zu den beiden ersten Strophen zurück und schliesst den Satz mit einer Coda, die ihrerseits wieder auf eine der Variationen zurückgreift. Unruhig, ja dramatisch gibt sich das Scherzo (c-moll), während das C-dur-Trio, am Schluss des Satzes wieder aufgenommen, mit dem Cello und den antwortenden übrigen Streichern Heiterkeit aufkommen lässt. Die heitere Klangfreude eines Perpetuum mobile bestimmt trotz intensiver thematischer Arbeit das Finale. Ein Melodieteil klingt an ein bei Schumann beliebtes und immer wieder zitiertes Thema an: Das Schlusslied aus Beethovens Liederzyklus „An die ferne Geliebte“, speziell die Phrase „Nimm sie hin denn meine Lieder“. Ob hier für einmal nicht an Clara, sondern an Freund Mendelssohn gedacht ist?
Ravels Vorbilder waren, neben Mozart und Schubert, natürlich französische Komponisten wie Debussy, dessen Quartett für ihn – wenn auch nur partiell – eine Anregung war, oder Fauré, dem er sein eigenes widmete («A mon cher maître Gabriel Fauré»). Die Musik der erwähnten französischen Komponisten wirkt mit ihrer Eleganz, Transparenz und Klanglichkeit. So steht auch bei Ravels Quartett nicht Bedeutungsschwere im Vordergrund, doch zeigt es bei aller Farbigkeit und rhythmischen Vielfalt eine aristokratische Disziplin und Zurückhaltung, ja Zartheit, und verbindet so das Bedeutende mit dem Leichten, das Vornehme mit dem Spielerischen. Heute werden die Quartette Debussys und Ravels gerne nahe zusammen gesehen, nicht zuletzt wegen ihrer häufigen Koppelung auf CDs. Dadurch überhört man oft Ravels Personalstil und seine eigenständige Klangsprache. Ravel selber empfand sein erstes bedeutendes Kammermusikwerk als Abschluss der Studienzeit. In seiner Selbstbiographie schrieb er 1928: «Mein Quartett in f entspricht dem Wunsch nach musikalischer Konstruktion, der zweifellos unzulänglich realisiert ist, aber viel klarer erscheint als in meinen vorhergegangenen Kompositionen.» Diese zurückhaltende Einschätzung überrascht bei einem von Ravels besten Werken.

Die Entstehung des Quartetts dauerte von Dezember 1902 (Sätze 1 und 2) bis April 1903 (Sätze 3 und 4). Dann musste Ravel fast ein Jahr auf die Uraufführung warten. Sie fand am 5. März 1904 in Paris statt und rief verschiedene, teilweise heftige Reaktionen hervor: Debussy war begeistert und schrieb an Ravel: «Au nom des dieux de la Musique et au mien, ne changez rien à votre Quatuor!» Der Widmungsträger Fauré fand einiges zu kritisieren, und die Klassizisten, die den Rom-Preis zu vergeben hatten, konnten nichts damit anfangen (was wohl der beste Beweis für die Qualität und Eigenständigkeit des Werks ist): Sie schlossen Ravel 1905 von der Teilnahme am Rompreis-Wettbewerb aus – angeblich, weil er zu alt war. Das hatte Konsequenzen: Direktor Dubois wurde entlassen, und Fauré sein Nachfolger.

Ravel hielt sich zwar in Einzelheiten an Debussy (so haben etwa beide Scherzi fast die gleichen Vortragsvorschriften), und doch ist ein eigenes Werk entstanden, besonders in der Ableitung der meisten Gedanken aus den Themen des 1. Satzes und in der Wiederaufnahme früherer Motive, vor allem im 3. und 4. Satz. Eigenständig ist auch die Klanglichkeit, etwa im 3. Satz, der mit seinen Tempo- und Tonartenwechseln rhapsodischen Charakter aufweist. Besondere Klänge werden durch spezielle Spielweise, nicht zuletzt in hohen Lagen, bewirkt. Im Finale, das auf einem chromatischen Fünftonmotiv beruht, lässt Ravel, Sohn einer Baskin, die baskische Tanzrhythmik des «Zortzico» anklingen (Abwechslung von Fünfer- und Dreiertakt), allerdings in variierter Form.

Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791

Streichquartett Nr. 17, B-dur, KV 458 «Jagd-Quartett» (1783/84)
Allegro vivace assai
Menuetto moderato – Trio
Adagio
Allegro assai

Robert Schumann 1810-1856

Streichquartett Nr. 2, F-dur, op. 41, Nr. 2 (1842)
Allegro vivace
Andante, quasi variazioni
Scherzo: Presto
Allegro molto vivace

Maurice Ravel 1875-1937

Streichquartett, F-dur (1902/03)
Allegro moderato, Très doux
Assez vif, Très rythmé – Lent – 1º Tempo
Très lent
Vif et agité