• Werk-Details
  • «Exil», Quartett für Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier (1994)

Volker David Kirchner 1942-

Der in Mainz geborene Volker David Kirchner stammt aus einer Familie mit musikalischer Tradition. Bei uns ist er nicht sehr bekannt, auch wenn Werke wie das Violinkonzert in Basel aufgeführt wurden. Er studierte Violine bei Günther Kehr, Komposition bei Günther Raphael und später bei Tibor Varga Bratsche, die er auch in Orchestern spielte. Er wirkte im Kehr-Trio mit, dessen Konzertreisen in Südamerika, Nordafrika und im Vorderen Orient ihn zur Beschäftigung mit aussereuropäischer Musik anregten. Seit 1988 ist er freischaffender Komponist; sein Werk umfasst alle Gattungen, insbesondere Musiktheater, Kammermusik und Orchesterwerke. Er hat sich mit den Stilen der Moderne (Zwölftontechnik, Stockhausen, Kagel etc.) auseinandergesetzt und darin komponiert. Zuletzt bekannte er sich zur Tradition. Für ihn ist nicht das Material an sich, sondern was damit geschieht, also die Botschaft der musikalischen Entwicklung wichtig. So sagte er: «Musik, die ohne Botschaft ist, ist für mich keine.» Oder: «Für mich sind vier Jahrhunderte grosser Musik ein Kapital. Ich fühle mich, da ich mit Musik lebe, sie als lebende Substanz in mir trage, dazu aufgerufen, sie zu benutzen, da sie für mich quasi den Wert von Vokabeln besitzt.» Man hat ihn zum Traditionalisten machen wollen; ihm aber kommt es darauf an, aus Respekt vor der Tradition nicht einer Originalitätssucht zu verfallen. Kirchner hatte «Exil», das er für die Musikalische Akademie Stuttgart schrieb, zunächst als Hommage an Bartók geplant. In New York hatte er dessen Exilunterkunft besucht, was ihn stark beeindruckte. Er schreibt: «In meiner Komposition Exil wird angespielt auf Kompositionen, Literatur der in die Emigration Gegangenen, obwohl es keine direkten Zitate gibt; es wird angespielt auch auf innere Emigration, die mich selber betrifft, d. h. das Abseits-vom-Mainstream-Sein. Das Stück stellt den Rückzug in sich selber dar, den Versuch, in sich hineinzuhören, und sich nicht von dem, was erwartet wird, zu bedienen. Es ist ein sehr depressives Stück, in dem es viele Selbstzitate gibt. Der erste Satz zitiert das Credo-Thema aus meiner Missa, in dem Isolation genannten dritten Satz ist die Geigenstimme ein Zitat aus dem zweiten Satz meines Violinkonzerts.
 Wenn man in dem Stück so etwas wie eine Geschichte entdecken will, so könnte sie etwa so lauten: der erste Satz Introduktion und Peripetie (Misterioso) zeigt das Sich-Abwenden, der zweite Satz Abgewandt (In memoriam Miles Davis. Bluestempo) das Leben in der Isolation. Hier beziehe ich mich auf die Musik von Miles Davis, erstens, weil ich ihn sehr bewundere; zweitens weil seine Musik, die schwarze Musik Amerikas überhaupt, für mich Emigrationsmusik ist, ein Symbol für die Situation, im eigenen Land in der Diaspora zu sein. Im dritten Satz Isolation gibt es eine Art Choreographie: alle wenden sich voneinander ab, jeder spielt – andeutungsweise im Raum verteilt – seine eigene Musik; diese Choreographie ist kein theatralischer Gag, sondern Inhalt: das klanglich-räumliche Sich-Abwenden ist eine Metapher für unsere Musik, für das vielschichtige Nebeneinander verschiedener Ästhetiken, die alle unabhängig voneinander existieren. Im vierten Satz Abschied findet eine atmosphärische Annäherung an Klezmer-Musik statt. Dieser Satz kehrt zurück zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen: der Emigration nach innen und nach aussen.»
Introduktion und Peripetie. Misterioso – Flessibile e molto ritmico
Abgewandt (In memoriam Miles Davis)
Isolation
Abschied
Tenebrae und Epitaph (… mit Namen, getränkt von jedem Exil… )

Dauer ca.: 00:20

Aufführungen