Konzerte Saison 2015-2016

  • 20.10.2015
  • 19:30
  • 90.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Vesselina Kasarova, Mezzosopran Iryna Krasnovska, Klavier

Vesselina Kasarova wurde in Stara Zagora (Bulgarien) geboren und begann im Alter von vier Jahren mit dem Klavierspiel. Nach dem Konzertdiplom studierte sie Gesang an der Musikakademie von Sofia und trat schon als Studentin an der dortigen Nationaloper auf. Danach führte sie ein zweijähriger Festvertrag 1989 ans Opernhaus Zürich, wo sie zu einem Publikumsliebling avancierte und von der internationalen Fachwelt als grosse Entdeckung gefeiert wurde. Hier trat sie auch später immer wieder erfolgreich auf. 1991 debütierte sie bei den Salzburger Festspielen, u. a. als Annio in Mozarts «Clemenza di Tito». In ihren grossen Bühnenrollen von Mozart (Cherubino, Idamante, Sesto, Dorabella), Rossini (Rosina, Tancredi, Isabella, Angelina) und Bellini (Romeo), aber auch als Charlotte in Massenets Werther trat sie an den grossen Opernhäusern in Europa und in den USA auf. Sie arbeitete mit bedeutenden Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt, Sir Colin Davis, Pinchas Steinberg, Donald Runnicles, Seji Ozawa, Semyon Bychkov, Daniel Barenboim, Riccardo Muti, Marcello Viotti, Alberto Zedda, Franz Welser-Möst, Sir Roger Norrington, Eve Queler oder Wolfgang Sawallisch. Auch in Oratorien und Messen singt sie häufig. Als Liedsängerin debütierte sie 1991 mit einem Prokofieff-Programm an der Mailänder Scala. 2003 gastierte sie mit Charles Spencer in einem unserer Konzerte im Musiksaal mit einem gemischten Vokalprogramm, darunter auch Haydns Ariadne-Kantate. Vesselina Kasarova hat zahlreiche CDs eingespielt, die mehrfach ausgezeichnet wurden. Ihre neuste Aufnahme (2015): «La mort de Cléopâtre» von Berlioz mit dem Sinfonieorchester Basel unter seinem designierten neuen Chefdirigenten Ivor Bolton.

Iryna Krasnovska besuchte die Fachmittelschule für Musik in Charkow (Ukraine). Schon früh erzielte sie Erfolge bei internationalen Solo- und Kammermusikwettbewerben. 2001 begann sie ihr Studium an der Hochschule für Musik Basel bei Adrian Oetiker, 2007 erwarb sie ihr Konzertdiplom mit Auszeichnung. Zahlreiche Konzerte als Solistin und Kammermusikerin mit begeisterter Resonanz bei Publikum und Presse führten sie unter anderem in die Ukraine, nach Russland, Israel, Deutschland, Schweiz, Südkorea und Japan. Sie konzertierte als Solistin u. a. mit dem Philharmonischen Orchester Charkow, dem Musikkollegium Winterthur und dem Sinfonieorchester Basel sowie in der Tonhalle Zürich und im KKL Luzern. Darüber hinaus widmet sie sich intensiv der Liedbegleitung. Iryna Krasnovska ist Korrepetitorin und stellvertretende Studienleiterin am Theater Basel.

Claudio Monteverdi, Lamento d’Arianna (1608)*
Joseph Haydn, Arianna a Naxos, Cantata, Hob. XXVIb: 2 (1789)
Hector Berlioz (1803-1869), Les nuits d’été op. 7 H 82-87 (1840/41) *, Sechs Gesänge für Mezzosopran und Klavier nach Texten von Théophile Gautier

Ariadne auf Naxos – ein musikalisches Thema aus vier Jahrhunderten

Die bereits in Ilias und Odyssee erwähnte Geschichte von Theseus und Ariadne erhielt in Catulls 64. Gedicht eine eindrückliche Form. Hier (V. 132ff.) finden wir ein Vorbild für all die späteren «Lamenti d’Arianna»; Teile des Gedichts könnten geradezu als Libretto für eine dramatische Kantate dienen.

Hier kurz die Sage: Der athenische Prinz Theseus ist unter den vom kretischen König Minos geforderten jungen Opfern, die dem Minotauros zum Frass vorgeworfen werden sollen. Er will den im von Daidalos gebauten Labyrinth eingeschlossenen Stiermenschen töten und Athen vom grausamen Tribut befreien. Ariadne, die junge Tochter des Minos, verliebt sich in ihn und gibt ihm den Rat und den Faden, damit er den Ausgang aus dem Labyrinth wieder findet. Theseus tötet das Ungeheuer, entkommt dem Labyrinth und flieht mit Ariadne. Auf der Insel Naxos lässt er sie aber – Gründe werden verschiedene berichtet – sitzen. Sie klagt über den Verlust ihres Geliebten und will sich das Leben nehmen. Da taucht laut einigen Versionen Dionysos/Bakchos auf und nimmt sich der Verlassenen an. Antike Mythen und moderne Fassungen kennen viele Varianten und Neudeutungen. Das gilt auch für den Ariadne-Mythos. Manchmal spielt ihre Schwester Phaidra eine Rolle – bei uns meist aus etwas anderem Zusammenhang (Racines Tragödie «Phèdre») bekannt; sie wird die Frau des Theseus. In der Version von Mendès-Massenet spielt sie eine grosse Rolle.

In der Vokalmusik (Oper, Kantate) war Ariadne immer wieder ein Thema; besonders die grosse Klage der Verlassenen lockte die Komponisten. 118 Vertonungen des Ariadne-Stoffs, wovon 67 Opern, soll es geben; viele davon gehören zu den frühesten Werken dieser Art überhaupt. Heute hören wir vier Bearbeitungen des Stoffs aus vier Jahrhunderten, zwei Opern und zwei Kantaten, davon jeweils eine in italienischer und französischer Sprache. Die älteste Version ist über 400, die jüngste gut 100 Jahre alt. Mit ihren Entstehungsjahren 1608, 1789, 1811 und 1905 zeigen sie uns die Kulturepochen des Frühbarock, der Klassik, der Früh- und Spätromantik. Am bekanntesten ist die heute nicht zur Diskussion stehende Bearbeitung des Stoffs von Hofmannsthal/Strauss.

Das älteste Stück ist das Lamento d’Arianna Monteverdis; es gehört in die frühesten Jahre der Gattung Oper. Zehn Jahre nach der als erste Oper geltenden Dafne von Jacopo Peri ist Ariannaals Monteverdis zweite Oper entstanden, ein Jahr nach dem für den Herzog von Mantua geschriebenen Orfeo. An dessen Hof war Monteverdi seit 1590 (ab 1594 als Cantore, eine Art Hilfskapellmeister) tätig. Auch Arianna entstand im Auftrag der Gonzaga, und zwar – vom Stoff her eher überraschend – zur Hochzeit von Francesco Gonzaga mit Margherita von Savoyen am 28. Mai 1608. Textdichter war der Florentiner Ottavio Rinuccini, der 1589 bereits die Texte für die berühmten Florentiner Intermedien (anlässlich einer Medici-Hochzeit) und für Peris Dafneverfasst hatte. Die Oper Arianna selbst ist – wie sechs weitere Monteverdis – verloren. Nur das Lamento isterhalten geblieben, weil der Komponist es gesondert herausgab: 1614 als fünfstimmiges Madrigal (SV 107 im 6. Madrigalbuch), 1623 in der ursprünglichen Form a voce sola mit Generalbassund nochmals 1640 mit einem religiösen Text. Monteverdi hat die Qualität dieses Stücks besonders hoch eingeschätzt; für ihn war es laut Brief vom 20. März 1620 «la più essential parte dell’ opera».

Haydn hat seine Ariadne-Kantate mit Begleitung des Cembalos oder Fortepianos komponiert, eher wohl für das letztgenannte. Ob sie, wie ein Brief an die Freundin Marianne von Genzinger, die Frau von Fürst Eszterházys Leibarzt, nahe legt, für Mariannes junge Tochter Josepha entstanden ist? Im März 1790 schrieb Haydn: «Dass Meine Liebe Arianna in schottenhof beyfall fand, ist für mich entzückend, nur Reccomendire ich der freyle Peperl [Fräulein Josepha] die worte, besonders jene ‚Chi tanto amai’, gut auszusprechen.» Wenn auch andere Sängerinnen dafür in Frage kommen (laut Simon Mayr etwa Bianca Sacchetti), so zeigen doch der geringe Tonumfang, das Fehlen virtuoser Passagen und die Klavierbegleitung, dass Haydn auch an Amateure dachte. Gleichwohl hatte die Kantate grossen Erfolg, etwa 1791 in London, als Haydn den Kastraten Gasparo Pacchierotti begleitete, oder 1800, als sie «Mylady Hameelton» bei Nelsons Besuch in Eszterháza vortrug, wofür Haydn die Noten, da er sie nicht zur Verfügung hatte, zuerst organisieren musste. Haydn beschreibt den von Ariadne

zuerst für eine zufällige Abwesenheit gehaltenen, später zur Gewissheit werdenden Treuebruch des barbaro ed infedel mit dem daraus folgenden Lamento und Todeswunsch (morir vorrei). Im Presto-Schluss in f-moll lässt Haydn die Schlüsselstelle des erwähnten chi tanto amai voller Sehnsucht wiederholen, bevor zuletzt Ariadnes Verzweiflung durchbricht. Das folgende überraschend nach F-dur kadenzierende kurze Klaviernachspiel lässt das Schicksal mit brutaler Endgültigkeit zuschlagen.

Die Entstehung der sechs Gesänge von Berlioz‘ „Nuits d’été“ ist nicht völlig geklärt. So findet man dafür vereinzelt das Jahr 1834, was kaum stimmen kann, obwohl der mit dem Dichter befreundete Berlioz einzelne Texte aus Théophile Gautiers erst 1838 erschienener Gedichtsammlung „La comédie de la mort“ möglicherweise früher kennen gelernt hat. So dürfte 1840/41 zumindest für den ganzen Zyklus richtiger sein. 1841 wurde die Version für Mezzosopran oder Tenor mit Klavier publiziert. Die heute viel bekanntere Orchesterversion ist später in mehreren Phasen entstanden (Absence bereits 1843) und erschien 1856 im Druck. Dem Orchestrierungsvirtuosen Berlioz gelangen hier die Klangfarben hervorragend, während ihm das Klavier, das er selbst nie gelernt hatte, nicht lag und er darum auch nicht am Klavier komponierte. In seiner Jugend war er allerdings ein ausgezeichneter Gitarrist, und seine frühesten Lieder schrieb er denn auch mit Gitarrenbegleitung. Berlioz war von Shakespeare begeistert, hatte sich in die Shakespeare-Darstellerin Harriet Smithson verliebt und sie 1833 geheiratet. Man kennt sie aus der Symphonie fantastique – und dieses persönlich gefärbte Werk verlockt, auch in den „Nuits d’été“ Autobiographisches zu suchen. Zur Zeit dieser Komposition war allerdings der Liebesrausch vorbei und die Beziehung scheiterte endgültig. Ob der von Berlioz erfundene Zyklus-Titel einen Bezug zu Shakespeares A Midsummer Night’s Dream und auch so vielleicht eine Reminiszenz an die Erfahrungen mit Harriet herstellen sollte, bleibt ungewiss. Bei drei der sechs Gedichte Gautiers hat Berlioz den Titel verändert; das erste heisst dort Villanelle rythmique, „Auf den Lagunen“ Lamento: La chanson du pêcheur und„Auf dem Friedhof“ Lamento. Nach dem heiter-graziösen Bauernliedchen von Villanelle, wohl als eine Erinnerung an schönere Zeiten zu verstehen, folgt der phantastische Traum von der gestorbenen Rose, welche die Frau am Vorabend bei einem Ball (man denkt an den 2. Satz der Symphonie fantastique) am Busen getragen hatte, eine geisterhaft beginnende, sich zur erotischen steigernde und wieder im Pianissimo endende Phantasie. Die Totenklage des Lamento gibt sich als Barkarole mit traurigen Schifferrufen im Refrain und gipfelt im Refrain eines Klagerufs. Im folgenden Absence in Fis-dur hat Berlioz nur drei der acht Strophen Gautiers vertont, dafür die erste mit dem verzweifelten Ausruf als Refrain benutzt. Das fünfte Lied zeichnet auch klanglich das tief-romantische Bild einer dunklen Nacht auf dem unheimlichen Friedhof, aus dem das weisse Grab des Mädchens aufscheint und wo die Taube klagt. Das letzte Lied, nochmals als Barkarole gestaltet, wirkt heiter elegant – und endet doch ironisierend und für Liebende ernüchternd im Nichts: Das Ufer der Treue kennt man im Land der Liebe nicht. Ist das Berlioz’ definitive persönliche Erkenntnis, die er im frühesten grossen französischen Liederzyklus und wohl überhaupt ersten Orchesterliedzyklus zum Ausdruck bringen wollte?