Konzerte Saison 2014-2015

  • 18.11.2014
  • 19.30
  • 89.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Emerson String Quartet (New York)

1976 von Musikern der Generation der ersten Hälfte der fünfziger Jahre unter dem Patronat von Robert Mann (Juilliard String Quartet) gegründet und nach dem amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson (1803-1882), dem Begründer des amerikanischen Transzendentalismus, benannt, hat das Emerson String Quartet rasch die höchsten Stufen der Quartettkunst erklommen und bis heute gehalten. Sein Ruf und seine Interpretationen bilden Referenzstandard. Es gilt nicht nur unter den amerikanischen Quartetten als Ausnahme-Ensemble, sondern gehört seit Jahrzehnten weltweit zu der ganz schmalen Spitzengruppe der bedeutendsten Streichquartette. Es gastiert heute, knapp vierzig Jahre nach seiner Gründung und gut 32 Jahre nach seinem ersten Auftritt bei der Kammermusik Basel (31.3.1982), zum dreizehnten Mal in unseren Konzerten. Seit dem letzten Auftritt am 5. März 2013 hat sich David Finckel aus dem Quartett zurückgezogen, um sich als Solist, Lehrer und Veranstalter neuen Aufgaben zu widmen. Er wird aber das Quartett wie in den letzten Jahrzehnten weiterhin unterstützen. Sein Nachfolger, der renommierte britische Cellist, Dirigent und Kammermusiker Paul Watkins, ist im Mai 2013 zum Quartett gestossen. Anlässlich ihrer letzten Auftritte haben uns die Emersons neben Werken von Bartók, Grieg, Haydn, Schostakowitsch, Schubert und Schumann vor allem Beethoven (op. 131 und op. 133 am 21. März 2000) dargeboten.
Das kühnste? Das grösste? Das bedeutendste?

Die Frage, welches Streichquartett Beethovens, ja des 19. Jahrhunderts oder gar überhaupt das kühnste sei, taucht immer wieder einmal auf. Nicht nur punkto Kühnheit, sondern generell bezüglich Bedeutung dürfte ein Entscheid zwischen den beiden heute gespielten Werken op. 130/133 und 131 fallen. Welches ist denn nun das „grösste“ oder das „bedeutendste“? Man sollte bei Musik nicht in Ranking-Mentalität verfallen. Zu viele Momente spielen bei der Beurteilung und Bewertung gerade anspruchsvoller Musik eine Rolle. Trotzdem bietet der heutige Abend die Gelegenheit, sich wieder einmal damit auseinanderzusetzen, warum diese beiden Werke so grossartig sind und warum man persönlich vielleicht dem einen vor dem andern den Vorzug gibt.

Die drei grossen späten Quartette Beethovens 132, 130 (mit op. 133) und 131 – dies die Entstehungsreihenfolge – gehören zusammen, denn sie weisen Besonderheiten und Gemeinsamkeiten auf. Als einzige Beethovenquartette gehen sie mit fünf, sechs bzw. sieben Sätzen über die Viersätzigkeit hinaus. Zudem sind sie durch Motivverwandtschaft, die von einer Keimzelle aus vier Tönen in zwei gegenläufigen Halbtonschritten (dis – e / c – h) ausgeht, verbunden.

In einer Besprechung des Quartetts op. 131 in der Zeitschrift Caecilia von 1828 stand nach einem Hinweis auf die „seltsamen, oft ans Wunderbare gränzenden Combinationen“ zu lesen: „Nur dadurch wird es also erklärbar, wie z. B. Beethovens fanatische Verehrer in diesen Schwanengesängen das Höchste erblicken, was je-mals aus seiner fruchtbaren, rastlos tätigen Feder geflossen, während Andere, vom blinden Enthusiasmus Unbefangene, darin häufige Spuren eines schon kränkelnden Geistes, einer zum aussergewöhnlichen gewaltsam angespornten, durch speculatives Studium überreitzten Phantasie, zu gewahren vermeinen.“

Ob es Beethovens „überreitzter Phantasie“ zuzuschreiben ist, dass das op. 131 sieben Sätze aufweist, ist fraglich. Mit der Satzzahl ging er bei Klaviersonaten frei um, während er in den Sinfonien – die „Pastorale“ als Sonderfall ausgenommen – bis hin zur „Neunten“ an der Vierzahl und am Satzcharakter festhielt. Man hat immer wieder betont, die sieben Sätze im op. 131 stellten eine Abwandlung des viersätzigen Quartettschemas dar, da man den ersten, dritten und sechsten Satz als eine Art Einleitung zum jeweils folgenden aufzufassen habe. Hatte die Originalfassung des op. 130 mit einer Fuge geendet, so beginnt op. 131 ebenfalls mit einer solchen, doch sind die beiden grundverschieden. Diese langsame Kopfsatzfuge, in welcher das erwähnte Motiv gleich zu Beginn in den Tönen zwei bis fünf (his – cis / a – gis) auftritt, wirkt einheitlich geschlossen und ist, wie Richard Wagner sich ausgedrückt hat, das "wohl Schwermütigste, was je in Tönen ausgesagt worden ist". Die Einheitlichkeit des ganzen Werks wird dadurch angestrebt, dass es zwischen den Sätzen keinen Unterbruch gibt, was wie die Siebenzahl irritiert hat. Allenfalls stehen da eine Fermate oder ein paar kurze Pausen. Mit einer solchen Fermate endet die Fuge, worauf sofort der 2. Satz im 6/8-Takt einsetzt, und zwar mit dem Oktavsprung vom Ende der Fuge, nur einen Halbton höher. Der improvisationsartig wirkende 3. Satz reduziert ihn auf die Quinte. Mit nur elf Takten, von denen die letzten fünf Adagio zu spielen sind, bildet er die Überleitung zum Werkzentrum, einer umfangreichen tiefgründigen Folge von sieben Variationen. Der fünfteilige 5. Satz ist ein Scherzo mit Trio im Schema ABABA. Er geht nach der teilweise sul ponticello zu spielenden Coda attacca in ein 28-taktiges Adagio über. Obwohl selbständig gehalten, bildet es eine Art langsame Einleitung zum Finale. Hier ist in den Tönen 4 bis 7 (gis – a / cis – his, wieder mit steigendem und fallendem Halbtonschritt) noch einmal das Grundmotiv fassbar. Mit drei heftigen fortissimo-Akkorden endet dieses wohl komplexeste der Beethoven-Quartette.

Auch Opus 130 beruht, die Grosse Fuge eingeschlossen, auf dem genannten Grundmotiv, hier in der Tonfolge g – gis / f – e. Es umfasst sechs Sätze, da Beethoven in komplementärer Weise den Tanzsatz (scherzohaftes Presto und be-schwingt heitere Danza tedesca, die kürzesten Sätze) sowie den langsamen Satz (leichtes, doch höchst kunstvolles Andante mit der Spielanweisung poco scherzoso und tiefsinnig-expressive Cavatina) verdoppelt. Der Kopfsatz mit langsamer Einleitung entspricht der üblichen Satzform, greift aber mehrfach auf den Adagio-Teil zurück. Mit diesen fünf Sätzen erreicht Beethoven ein komplexes und abwechslungsreiches Gebilde, das dem (ursprünglichen) Schlusssatz ein Gegengewicht gegenüberzustellen vermag. Das nachkomponierte Finale lässt als vielleicht doch allzu gleichartiges Gebilde das besondere Gewicht vermissen. Ein Fugenfinale – man denke an Haydns op. 20 oder Beethovens op. 59/3 – ist nichts Ungewöhnliches. Aber diese Fuge ist eben die als tantôt libre, tantôt recherchée bezeichnete Grande Fugue. Sie irritierte bei der ersten Aufführung durch das Schuppanzigh-Quartett am 21. März 1826 am meisten: "Den Sinn des fugirten Finale wagt Ref. nicht zu deuten: für ihn war es unverständlich, wie Chinesisch", hiess es in der "Allgemeinen Musikalischen Zeitung". Die Sätze 1, 3 und 5 konnte „Ref.“ noch halbwegs goutieren, mochte er sie auch als "ernst, düster, mystisch, wohl auch mitunter bizarr, schroff und capriciös" bezeichnen. Das "Scherzo und der Deutsche" kamen bei Publikum und Kritiker bezeichnenderweise gut an, so dass "mit stürmischem Beyfall die Wiederholung verlangt wurde". Was macht das Aussergewöhnliche dieser Fuge aus? Zunächst die Länge. Zusammen mit der das Thema in vier Varianten exponierenden Overtura dauert sie eine gute Viertelstunde, ist also einer der längsten Quartettsätze Beethovens. Zudem handelt es sich nicht um eine Fuge oder Doppelfuge, sondern um eine Reihe von Einzelfugen, welche in ihrer Abfolge eine Art freier Sonatensatzform ergeben. Die „Exposition“ (rund 200 Takte) umfasst zwei Doppelfugen in B-dur und Ges-dur; die erste beginnt mit der extremen, sprunghaften Form der vierten Themenvariante. Hinzu kommt die Art der Themen. Sie sind zwar gut zu erkennen: Variante 1 etwa an ihren Sekundschritten, Variante 4 an ihren Dezimensprüngen und dem punktierten Rhythmus. Doch ihre „moderne“, nicht unbedingt melodiöse Gestalt und das ständige Ineinanderfliessen von Varianten und Verarbeitungen machen das Verfolgen des Ablaufs schwierig. Dazu kommen harmonische Kühnheiten und klangliche Extreme, nicht nur im Dynamischen. Beethoven äusserte sich einmal: „Eine Fuge zu machen ist keine Kunst. Aber die Phantasie will auch ihr Recht behaupten, heut’ zu Tage muss in die althergebrachte Form ein anderes, ein wirklich poetisches Element kommen.“ Ob „das poetische Element“ dieser Fuge die Zuhörer damals erreicht hat, bleibt fraglich.

Übrigens: Beethoven hat op. 131 für das bedeutendste seiner Quartette gehalten.

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 14, cis-moll, op. 131 (1826)
Adagio ma non troppo e molto espressivo
Allegro molto vivace –
Allegro moderato / Adagio / Più vivace –
Andante ma non troppo e molto cantabile –
Presto –
Adagio quasi un poco andante –
Allegro
Streichquartett Nr. 13, B-dur, op. 130, mit der ursprünglichen Schlussfuge op. 133 anstelle des nachkomponierten Rondos (1825)
Adagio ma non troppo – Allegro
Presto
Andante con moto, ma non troppo
Alla danza tedesca: Allegro assai
Cavatina: Adagio molto espressivo
Overtura: Allegro – Meno mosso e moderato –
Fuga: Allegro – Meno mosso e moderato – Allegro molto e con brio