Konzerte Saison 2013-2014

  • 21.1.2014
  • 19.30
  • 88.Saison
  • Zyklus B
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Apollon Musagète Quartett (Wien)

2008 gewann das 2006 von vier polnischen Musikern gegründete Apollon Musagète Quartett nicht nur den ersten Preis, sondern beinahe alle Sonderpreise beim 57. Internationalen Musikwettbewerb der ARD. Schnell etablierte es sich als feste Grösse in der europäischen Musikszene und begeistert Publikum und Presse mit mitreissenden und berührenden Interpretationen. 2010 debütierte es in der Berliner Philharmonie; es gastierte mit grossem Erfolg in den bedeutenden Konzerthäusern von Athen, Köln, Paris, Brüssel, Stockholm, Amsterdam, Luxemburg, Wien, Barcelona und beim Lucerne Festival. Die Saison 2013/14 führt es nach London, New York, Leipzig, Paris, Zürich – und Basel. Das AMQ absolvierte die European Chamber Music Academie; wichtige Impulse erhielt es von Johannes Meissl, Hatto Beyerle und von Mitgliedern des Alban Berg Quartetts. Das Quartett arbeitete mehrfach mit Mitgliedern des ABQ, mit Angelika Kirchschlager und mit Martin Fröst zusammen. Auch die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Komponisten ist für das Quartett von grosser Bedeutung. So führt es regelmässig ihm gewidmete Werke auf, die oft auf die Thematik des Musenführers Apollon Bezug nehmen. Auch ihre Eigenkompositionen «Multitude for String Quartet» und «A Multitude of Shades» integrieren die Musiker immer wieder in ihre Programme und begeistern damit ihr Publikum. Die Debüt-CD von 2010 erhielt mehrere Preise. In dieser Saison erscheint ebenfalls bei OehmsClassics die zweite CD mit Werken von Tschaikowsky, Prokofieff und Schostakowitsch. Das AMQ hat mit dem BBC Symphony Orchestra London auch Martinůs Konzert für Streichquartett und Orchester aufgenommen. Für Decca spielte es Werke von Lutosławski, Penderecki und Górecki ein und erhielt auch dafür glänzende Kritiken der Fachpresse. Über seine reguläre Konzerttätigkeit hinaus arbeitet das Quartett intensiv mit der Sängerin Tori Amos zusammen und hat entscheidend bei deren mit dem Echo 2012 ausgezeichneten CD «Night of Hunters» mitgewirkt. In der Süddeutschen Zeitung hiess es im November 2010: «Wenn Apollon nicht die Leier, sondern Violine spielen würde, dann klänge es bestimmt so.»

Aus Böhmen und Mähren

Josef Suk war als Geiger Schüler von Antonín Bennewitz und später Kompositionsschüler von Dvořák, zudem nach der Heirat mit dessen Tochter Ottilie auch sein Schwiegersohn. Der gleichnamige Geiger (1929-2011) war sein Enkel und somit ein Urenkel Dvořáks. Schüler Suks seinerseits war Bohuslav Martinů. Suk war Gründer des Tschechischen Quartetts, in dem er vierzig Jahre lang die 2. Violine spielte und mit dem er in fast ganz Europa konzertierte. Als Komponisten kennt man ihn bei uns nicht besonders gut, während er in Tschechien als Sinfoniker Geltung hat. Zunächst in der Dvořák-Nachfolge stehend, entwickelte er sich später durchaus fortschrittlich bis an die Grenzen der Atonalität. Neben Sinfonischen Dichtungen und der grossen «Asraël»-Sinfonie, schrieb er auch einiges an Kammermusik, so in jungen Jahren je ein Klavierquartett, -trio und -quintett (opp. 1, 2 und 8). 1896 und 1911 kamen zwei Streichquartette (op. 11 und 31) hinzu. Unter dem Eindruck des Ausbruchs des 1. Weltkriegs komponierte Suk, der sich für die Unabhängigkeit Tschechiens von Österreich-Ungarn einsetzte, im Sommer 1914 an nur einem Tag die Meditation über den mittelalterlichen St. Wenzel-Choral für Streichquartett (für sein eigenes natürlich). Wenzel ist der Schutzpatron Böhmens. Wenig später hat er sie auch für Streichorchester eingerichtet (Umformung der Viola- und Cello- und Hinzufügung einer Kontrabass-Stimme). Er verwendete eine spätere, phrygische Variante des Chorals, die 1668 erschienen war. Suk komponierte vier Episoden, welche den vier Choralteilen entsprechen. In der dritten stützt sich Suk mit starker expressiver Steigerung auf die Melodie der Textpassage des Chorals «Lass uns und unsere Nachkommen nicht zugrunde gehen.» Die vierte – sempre più largamente – gibt der Zuversicht Ausdruck und endet beinahe mystisch in A-dur.

Josef Suk, der mit seinem Quartett Janáčeks 1. Streichquartett 1924 uraufführte, verdanken wir (so der Janáček-Biograph Jaroslav Vogel) das Wissen, «dass Janáček das 1. Streichquartett als einen sittlichen Protest gegen den Despotismus des Mannes im Verhältnis zur Frau verstanden wissen wollte. Und so interpretiert und widerlegt Janáček Tolstoi in einem Atemzug. Während der russische Dichter in seiner Kreutzersonate der Musik unsittliche Wirkung zuschreibt, erscheint hier mit erschütternder Wirkung Musik als das Gewissen der Menschheit.» Janáčeks Kammermusik ist, darin wohl nur der Smetanas vergleichbar und unter diesem Eindruck verständlich, von persönlichem Erleben geprägt. Während er im 2. Quartett das eigene Liebeserlebnis verarbeitet, verwandelt er im ersten eine literarische Liebestragödie in ein subjektives Bekenntniswerk. Die Erregung über Tolstois Schilderung hatte ihn bereits 1908 zu einem Klaviertrio angeregt, das er aber vernichtet hat (teilweise erhalten und rekonstruiert). «Aus einigen Gedanken daraus entstand das Quartett», schrieb er 1923 an seine Vertraute und Geliebte Kamila Stösslová, die ihrerseits fünf Jahre später Anlass zum 2. Quartett des Vierundsiebzigjährigen werden sollte. Das 1. Quartett ist zwar viersätzig, entspricht aber nicht dem klassischen Schema: keine Sonatenform und keine gängige thematische Verarbeitung. Gemäss Dietmar Holland ist der 1. Satz ein Porträt der Frau, der 2. schildert ihr verhängnisvolles Zusammentreffen mit dem Geiger, der 3. enthüllt mit drastischer Deutlichkeit den Widerspruch zwischen der echten Liebe der Frau und der Eifersucht des Mannes, und der 4. Satz vereinigt die Katastrophe mit der Katharsis. Vielleicht sind die vier Sätze in der Art von vier Akten eines Dramas gemeint.

Im Dezember 1879 komponierte Dvořák acht Walzer für Klavier, hübsche, melodiöse und äusserst erfolgreiche Stücke, sein op. 54. Zwei davon, die wohl eingänglichsten, setzte er im Februar darauf auch für Streichquartett – und in dieser Form leben sie heute, gerne als Zugaben gespielt, munter weiter. Im ersten herrscht leichte Sentimentalität, die in den raschen Zwischenpassagen weggewischt wird, aber nicht umzubringen ist. Der zweite, im Klavieroriginal die Nr. 4 in Des-dur, in der Streicherversion mit Kontrabass ad libitum in D-dur, scheint in der Einleitung ebenfalls auf Sentimentales hinzusteuern, wird dann aber zum schwungvollen Tanz. Eine Variante in A-dur gibt sich etwas ruhiger. Und mit der Zeit merkt man, dass auch der vermeintlich sentimentale Beginn schwungvolles Potential aufweist und zum Schluss in Kürze sogar für den Kehraus besorgt ist.

Dvořáks C-dur-Quartett op. 61 ist eher selten zu hören und wird auch gelegentlich kritisiert. Alec Robertson befindet in seiner Dvořák-Biographie von 1945 (deutsch 1947): «Für das C-dur-Quartett kann man Bewunderung, aber keine Liebe empfinden.» Vielleicht lag es an der Entstehungsgeschichte. Das Quartett war ein Auftrag des Wiener Geigers Joseph Hellmersberger jun. von 1881. Dvořák sah keinen Grund zur Eile, arbeitete er doch gerade an seiner Oper Dimitrij. Da erfuhr er aus der Presse, dass das Hellmersberger-Quartett sein Werk am 15. Dezember in Wien aufführen werde. Er machte sich rasch ans Werk und schrieb das Stück zwischen dem 25. Oktober und 10. November. Das erklärt wohl, warum Dvořák auf frühere, nicht verwendete Sätze zurückgriff. Der Kopfsatz dagegen entstand gleich zweimal; die erste Komposition in F-dur wurde verworfen. Dazu mag ein gewisser Druck gekommen sein, Musik für Wien und Wiener Musiker zu schreiben – wie konnte man da an den Grossen der Wiener Komponisten vorbeikommen? Man hat im Kopfsatz des Quartetts intensive Auseinandersetzung mit dem Beethoven des op. 59 festgestellt, ausserdem im langsamen Satz mit Schubert. So ist es eben kein slawisches Werk geworden, sondern eines auf den Spuren der Wiener Klassik. Dvořák verzichtete bewusst auf den slawischen Tonfall, der das vorangehende op. 51 geprägt und zum Erfolg geführt hatte. So ist der 3. Satz ein reines Scherzo (à la Beethoven) und kein «slawischer Tanz». Einzig im Schlusssatz bringt eine skocna ein böhmisches Element hinein, das befreiend wirkt. Der grandioso-Schluss scheint dann doch wieder mehr sein zu wollen als slawisches Gefühl und Spielfreude. Die Kritik bedauerte den Verzicht auf das Slawische und bewertete das Werk eher ungünstig: Dvořák hatte eben slawisch-natürlich zu komponieren und nicht kunstvoll-gesucht! Er selber war anderer Meinung, nannte er das Werk doch «von meinen Kammermusikstücken das grösste und das vollendetste». – Der Clou der Sache: Wegen des Brandes des Wiener Ringtheaters am 8. Dezember 1881 mit offiziell 384 (oder mehr) Toten hatte Kaiser Franz Joseph Staatstrauer angeordnet; Konzerte durften keine stattfinden. Die Uraufführung erfolgte erst am 2. November 1882 (Veröffentlichung bereits im Februar) durch das Joachim-Quartett – in Berlin! Wie wäre das Quartett herausgekommen, hätte Dvořák dies gewusst? Gut berlinerisch oder doch eher wie das 1879 für Berlin komponierte op. 51 echt böhmisch?