Konzerte Saison 2010-2011

  • 31.1.2011
  • 20.15
  • 85.Saison
  • Zyklus B
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Leipziger Streichquartett (Leipzig)

Als das Quartett 1988 gegründet wurde, waren drei seiner Mitglieder als Stimmführer im Gewandhausorchester tätig, bis sie 1993 auf eigenen Wunsch ausschieden, um sich ausschließlich dem Quartettspiel zu widmen. Studien bei Gerhard Bosse in Leipzig, dem Amadeus-Quartett in London und Köln, bei Hatto Beyerle in Hannover und bei Walter Levin gingen dem voraus. Im Verlauf des Jahres 2008 ist der Primarius Andreas Seidel aus dem Ensemble ausgeschieden. Sein Nachfolger ist der Leipziger Geiger – und, geradezu traditionsgemäss, Konzertmeister des Gewandhausorchesters – Stefan Arzberger. Viele Preise und Auszeichnungen hat das Leipziger Streichquartett bisher erhalten: 1991 gewann es den ARD-Wettbewerb in München und erhielt den Gebrüder-Busch-Preis; 1992 wurde es mit dem Förderpreis des Siemens-Musikpreises ausgezeichnet. Seit November 1991 gestaltet das Quartett seine eigene Konzertreihe „Pro Quatuor“ in Leipzig. Eine rege Konzerttätigkeit führte es bisher in mehr als 40 Länder Europas, Nord- und Südamerikas, Afrikas, Asiens sowie nach Australien, Japan und Israel. Viele namhafte Festivals im In- und Ausland und eigene thematische Zyklen stehen regelmässig auf dem Konzertplan des Ensembles. Die über 70 vorliegenden CD-Einspielungen, darunter Gesamteinspielungen der Streichquartette von Adorno, Beethoven, Berg, Brahms, Dessau, Mendelssohn, Mozart, Schönberg, Schubert, Webern, werden von der Fachkritik hoch geschätzt. Zeichen dafür sind viele Auszeichnungen. Das Leipziger Streichquartett hat zudem zahlreiche Streichquartette uraufgeführt, darunter etwa Werke von Wolfgang Rihm, Cristóbal Halffter, Beat Furrer. In verdankenswerter Weise hat das Leipziger Quartett nicht nur den Konzerttermin des wegen der Erkrankung des Primarius verhinderten Juilliard String Quartet, sondern weitgehend auch dessen Programm übernommen (nur Donald Martino wurde durch Halffter ersetzt). Es kommt so zum 8. Auftritt in unseren Konzerten.
In die erste Phase von Schuberts Quartettschaffen gehören rund 16 Werke (12 vollständig überliefert); die Hälfte davon entstand 1812/13 in rascher Folge. Gemeinsam ist ihnen (abgesehen vom E-dur-Quartett D 353), dass sie für den Hausgebrauch und die Aufführung durch das schubertsche Familienquartett geschrieben wurden. Während die zur selben Zeit entstandenen Lieder (1813 zahlreiche auf Texte von Schiller) auf höhere Ambitionen schliessen lassen, bleiben die Quartette eher bescheiden, was nicht heisst, dass Schubert nicht experimentiert hätte. Im Oktober 1815 schreibt er mit dem Erlkönig das Lied, das er später zu seinem Opus 1 bestimmte. Ein halbes Jahr vorher, vom 25. März bis zum 1. April, ist das g-moll-Quartett entstanden. «Stärker als in anderen Quartetten der Zeit hat Schubert in seinem ersten Moll-Quartett den ‘klassizistischen’ Aspekt betont (straffe Formgliederung, kontrapunktische Durchführungsarbeit, thematische Verknüpfung der Sätze). Auch der melodische Tonfall erinnert bisweilen an ‹Klassisches›, so an Beethovens Quartett op. 18/2 (Finale) im ersten Satz und an Mozarts g-moll-Sinfonie (ein Lieblingsstück Schuberts) im Menuett» (Monika Lichtenfeld). Der erste Satz, der innovativste des Werks, weist kontrastreiche Thematik und den erwähnten Beethovenbezug auf; die nur 30 Takte lange Durchführung bringt statt der Verarbeitung der Themen neues, vor allem klanglich überraschendes, flächiges Material. Die Themenverarbeitung erfolgt überraschend erst in der Reprise. Beim Thema des wiegenden Andantino im anapästischen Rhythmus (kurz–kurz–lang) halten 1. Violine und Cello abwechselnd Zwiesprache. Das rasche Menuett ist kräftig, während das Trio mit seinen eigenartigen Melodiewendungen auf Kontrast dazu angelegt ist. Das Finale betont wie der Kopfsatz das Rhythmische, schafft aber bei aller Virtuosität – insbesondere als Überraschungseffekt zu Beginn – eine geradezu unheimliche Stimmung.

Der spanische Komponist und Dirigent Cristóbal Halffter, in Madrid geboren, aber als Kind zeitweise in Deutschland, der Heimat einiger seiner Vorfahren, zuhause, hat für Paul Sacher zwischen 1976 und 1986 in sechs Konzerten des BKO dirigiert und dabei neun eigene Werke aufgeführt, davon drei für Maja und Paul Sacher komponierte und ihnen gewidmete. Der renommierte Komponist musste sich die Kenntnis und Techniken moderner Musik selber erarbeiten, da man im Spanien Francos im Studium nichts davon erfahren hat. Halffter studierte in Madrid; er gehörte zur Gruppe «Generation 1951», die im künstlerischen Widerstand gegen das Franco-Regime vereint war. Seine erste Zwölftonkomposition verursachte 1960 in Madrid einen Skandal. Als einer der wichtigsten Vertreter der neuen Musik Spaniens hat er mit Boulez, Berio und Stockhausen gearbeitet. Das 7. Streichquartett ist ein Auftragswerk des Festival Internacional de Música de Santander und wurde vom Leipziger Quartett am 30. August 2008 uraufgeführt. Seine sieben ineinander übergehenden Sätze – ein Bezug auf Beethovens op. 131 – sind in vier «Espacios de silencio» («Räume der Stille»: die ungeraden Nummern) und in drei weitere Sätze unterteilt. In den vier Espacios nimmt Halffter auf die beiden ersten der 40 zwölfzeiligen Gedichtstrophen Bezug, die der kastilische Dichter Jorge Manrique (um 1440-1479) 1476 auf den Tod seines Vaters verfasst hat (Coplas por la muerte de su padre). Halffter hat mehrfach Texte dieses Dichters vertont. Hier handelt es sich jedoch nicht um Textvertonungen, sondern die Texte dienen – ähnlich wie die Hölderlin-Fragmente in Luigi Nonos Quartett «Fragmente der Stille - An Diotima» (1979/80) – als konzeptioneller Bezugspunkt und als poetische Anregung für das Quartett und den Zuhörer.

Am 9. November 1822 bat Fürst Nikolaus Galitzin Beethoven, für ihn «un, deux ou trois nouveaux Quatuors» zu schreiben. Die Anfrage kam Beethoven nicht ungelegen, hatte er doch bereits am 5. Juni 1822 dem Verlag Peters ein Quartett in Aussicht gestellt, das spätere op. 127. Er widerrief später dieses Angebot, da mir etwas anderes dazwischen gekommen: die Missa solemnis und die 9. Sinfonie. Im Februar 1824 nahm Beethoven die Arbeit am Quartett wieder und schloss es ein Jahr später ab. Noch während dieser Arbeit konzipierte er, wohl im Herbst 1824, zwei weitere Quartette, op. 132 und op. 130, auch diese dem Fürsten Galitzin gewidmet. Im zweiten dieser Quartette bildet der langsame Satz Zentrum und Hauptaussage des Werkes. Nicht nur die Länge, auch die religiös motivierte Umschreibung der Satzbedeutung hebt diesen einmaligen Satz aus den andern hervor. Mag die erstmalige Ausweitung der Satzzahl von vier auf fünf im Vergleich mit op. 130 und 131 noch unentschlossen wirken, die eine Aufgabe, das Molto Adagio ins Zentrum zu rücken, wird durch den kurzen Geschwindmarsch des 4. Satzes durchaus erreicht. Der Dankgesang ist – trotz seinen «himmlischen Längen» – im Grunde einfach gebaut: Er beginnt mit einer choralartigen Melodie in F-dur ohne ♭ (darum «in der lydischen Tonart»). Ihre Phrasen folgen einander jeweils halbtaktig im 4-stimmigen Satz. Der Choralteil wird von einem leichteren Andante in D-dur abgelöst, das mit «Neue Kraft fühlend» überschrieben ist. Es nimmt im weiteren Verlauf geradezu tänzerische Züge an. Diese beiden Teile werden wiederholt, der Choral wird variiert, während das Andante weitgehend unverändert bleibt. Eine 3. Choralstrophe führt «mit innigster Empfindung» den Satz fast in Rondoform zu Ende. Der erste Satz beginnt mit einer Einleitung, welche ausgehend vom Cello jenes Viertonmotiv in je einem auf- und absteigenden Halbtonschritt (gis–a/f–e; in der 1. Violine dis–e/c–h) einführt, welches als Klammer die drei grossen der späten Beethovenquartette verbindet. Schon das Hauptthema des Kopfsatzes nimmt es im Zentrum auf und selbst im Finalthema taucht es versteckt wieder auf. Der 2. Satz, ein recht umfangreiches, mehrheitlich freundliches Scherzo, steht in A-dur; sein Trio kommt zuerst klanglich apart à la musette, später mit einem girlandenartigen, harmonisch ständig changierenden Motiv daher.

Franz Schubert 1797-1828

Streichquartett Nr. 9, g-moll, op. post., D 173 (1815)
Allegro con brio
Andantino
Menuetto: Allegro vivace – Trio
Allegro

Cristóbal Halffter 1930-

Streichquartett Nr. 7 «Espacio de silencio»
I Espacio de silencio
II Deciso
III Espacio de silencio
IV Molto rubato
V Espacio de silencio
VI Lento - Deciso
VII Espacio de silencio

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 15, a-moll, op. 132 (1825)
Assai sostenuto – Allegro
Allegro, ma non tanto
Heiliger Dankgesang eines Genesenen, in der lydischen Tonart: Molto adagio –
Neue Kraft fühlend: Andante –
Mit innigster Empfindung: Molto adagio
Alla Marcia, assai vivace – Più allegro – Allegro appassionato – Presto