Konzerte Saison 2008-2009

  • 21.10.2008
  • 20:15
  • 83.Saison
  • Zyklus B
Stadtcasino, Hans Huber-Saal

Christoph Prégardien, Tenor Andreas Staier, Klavier

Christoph Prégardien, Tenor

Der 1956 geborene Christoph Prégardien begann seine musikalische Laufbahn bei den Limburger Domsingknaben. Er studierte Gesang in Frankfurt, Mailand und Stuttgart. Sein Repertoire umfasst ein breites Spektrum, das die alte Musik mit den grossen Passionen und Kantaten (mit Schwergewicht bei Bach), die geistlichen und weltlichen Werke der Klassik und Romantik (Mozart, Schubert) und die Oper von Monteverdi (Ulisse) über Haydn (CDs u.a. mit Harnoncourt), Mozart und Rossini bis Verdi (Fenton im Falstaff) umfasst. Er hat aber seine lyrische Stimme nie überfordert und sich mit grossem Erfolg dieses Repertoires angenommen. Besonders gefragt ist er allerdings seit langem als Liedsänger. Von Beethoven über Schubert und Schumann bis hin zu Britten (Nocturne, in Basel vor zehn Jahren zu hören), Wilhelm Killmayers (Hölderlin-Zyklen etc.) und Wolfgang Rihm pflegt er diese Gattung seit Jahren mit grösstem Erfolg. Unzählige Platteneinspielungen haben seinen Namen bekannt und beliebt gemacht. Sie erhielten zahlreiche Preise. Im Moment läuft ein neues langfristiges Projekt (Challenge Classics), das 2008 eine von der Kritik gerühmte Neuaufnahme von Schuberts «Schöne Müllerin» mit Michael Gees herausbrachte; mit Andreas Staier erscheint in diesem Herbst eine Aufnahme des «Schwanengesangs».

Andreas Staier, Klavier

Andreas Staier wurde 1955 in Göttingen geboren. Er studierte Klavier und Cembalo in Hannover und Amsterdam bei Ton Koopman. 1983–86 war er Mitglied der Musica Antiqua Köln. Immer mehr pflegte er das Solorepertoire und wurde als Cembalist und Hammerklavierspieler berühmt. 1987–1996 war Staier Dozent an der Schola Cantorum Basiliensis. Seine Einspielungen etwa von Haydn und Schubert erhielten höchstes Lob der Fachkritik. Staier ist ebenso als Kammermusikpartner (Trio mit Daniel Sepec und Jean-Guihen Queyras) und Liedpianist tätig, letzteres vor allem in langjähriger Partnerschaft mit Christoph Prégardien. Seine rund 50 Platteneinspielungen haben zahlreiche Preise erhalten. In diesem Jahr wurde er mit dem Praetorius-Musikpreis ausgezeichnet.

Schwanengesänge

Dass Schwäne vor ihrem Tod singen und daher eine Art den zoologischen Namen Singschwan / cygnus musicus (heute c. cygnus) trägt, ist eine Vorstellung, die sich in der Antike mehrfach findet, am frühesten wohl bei Aischylos (Agamemnon V. 1444), wo der Begriff im Vergleich mit den letzten Lauten eines Menschen, der eben ermordeten Kassandra, steht. Ob allerdings je ein Mensch ein solches Lied eines sterbenden Schwans gehört hat, ist eine andere Frage. Der Begriff «Schwanengesang» allerdings ist geläufig geblieben. Am bekanntesten dürfte er als Bezeichnung der letzten Liedkompositionen Schuberts sein.

Als der Wiener Verleger Tobias Haslinger diese Lieder im Mai 1829 herausgab, wählte er den Begriff, weil er – wohl auch aus merkantilen Gründen – «die letzten Blüten seiner edlen Kraft..., jene Tondichtungen, die er im August 1828, kurz vor seinem Dahinscheiden geschrieben,» besonders kenn- und auszeichnen wollte. Der Name ist jedoch nicht als Titel eines echten Zyklus gedacht. Haslinger hat nämlich ein weiteres Lied zu den sieben bzw. sechs Rellstab- und Heine-Vertonungen hinzugefügt, «Die Taubenpost» (D 965A) auf einen Text von J. G. Seidl, das bei Schubert nicht mit den anderen Liedern des «Schwanengesangs» in Verbindung steht. Es gehört vielmehr in den Zusammenhang mit der Vertonung einer ganzen Reihe von Seidl-Gedichten in den Jahren 1826 und 1828, auch für 4 Männerstimmen wie Nachthelle oder Nachtgesang im Walde (D 892 bzw. 913). Haslinger hatte die 13 Rellstab- und Heine-Gesänge im Autograph von Schuberts Bruder Ferdinand am 17. Dezember 1828, einen Monat nach dessen Tod, ohne D 965A erhalten. Wenn die heutigen Interpreten die 13 «Schwanengesang»-Lieder mit Seidl-Vertonungen ergänzen, so ist dies gleichwohl sinnvoll. Auffällig ist nur, dass ausgerechnet Schuberts vermutlich letzte Liedkomposition vom Oktober 1828, eben besagte Taubenpost, darin fehlt. Doch dürfte es wahrscheinlich sein, dass wir sie an diesem Abend doch noch zu hören bekommen.

Schubert hat offenbar die Gruppen der Rellstab- und Heine-Vertonungen als zusammengehörig betrachtet. Dafür spricht das Autograph, in welchem die 13 Lieder direkt hintereinander stehen. Andererseits hat Schubert die sechs Heine-Lieder brieflich am 2. Oktober 1828 – wohl der terminus ante für deren Vollendung – gesondert dem Leipziger Verleger Probst angeboten. Gehören die beiden Liedgruppen nun eng zusammen oder doch nicht? Auch hier bieten die Interpreten mit der Aufteilung auf die beiden Teile des Programms eine sinnvolle Lösung. So wird eine Zusammengehörigkeit dokumentiert, die in den Stimmungen heterogenere Rellstab-Gruppe aber von der geballten Intensität und Modernität der Heine-Lieder getrennt. Der Liedzyklus ist weder im Gesamten noch in den beiden Einzelgruppen eine Art Novelle mit inhaltlicher Zusammengehörigkeit, wie wir sie aus den beiden Wilhelm Müller-Zyklen Die schöne Müllerin und Die Winterreise kennen. Ausgehend von den Stimmungen der Winterreise wird aber in beiden Zyklusgruppen Gewicht auf ähnliche Stimmungen gelegt. Die Rellstab-Gruppe weist trotz loser Reihung ein Thema, nämlich «Entfernung – von der Geliebten, von Freunden oder der Heimat –, Sehnsucht und Einsamkeit (Martina Gredler)», auf. Es stehen sich hellere Lieder in der Art der Müllerin (Nr. 1, 3, 4) und die dramatisch-emotionale Nr. 5, düstere (Nr. 2 und 6, dieses in der penetranten Betonung der Gleichförmigkeit der Endreime erschütternd hoffnungslos) und die wehmütige Heiterkeit von Nr. 7 gegenüber. Das Einzellied Herbst nach Rellstab, erst 1895 in der Gesamtausgabe veröffentlicht, ist ein Strophenlied über einer fast ununterbrochen fliessenden Tremolo-Klavierbegleitung, deren Basslinie zeitweise die Gesangsstimme klangschön konterkariert.

Mehr noch als die Rellstab-Vertonungen bilden die Heine-Lieder eine geschlossene Gruppe. Hier, in seinen auch literarisch modernsten Vertonungen aus Heines Buch Heimkehr, findet Schubert noch einmal zu neuer Ausdruckskraft. Neben den düsteren Charakter – etwa im unheimlichen Doppelgänger oder in Die Stadt, das an zeitgleiche Bilder Caspar David Friedrichs erinnert (Brahms hat die unheimliche arpeggierende Klavierfigur im Adagio seines 2. Klavierquartetts op. 26 aufgenommen) – treten ungewöhnliche harmonische Mittel, etwa im Atlas, wo «die ganze Welt der Schmerzen» auf dem Sänger lastet. Selbst die so heiter wirkende Barcarole des Fischermädchens schliesst die Gefahr des wilden Meers und der ebenso wilden Gefühle mit ein, lässt aber am Schluss wenigstens Hoffnung aufkommen. Ebenfalls ein romantisches Bild stellt uns Schubert in Am Meer musikalisch vor Augen. Mit einfachsten Mitteln evoziert er, der das Meer nie gesehen hat, sowohl die stille Weite wie auch das halb Wunderbare, halb Unheimliche von Brandung und aufsteigendem Nebel, alles in Verbindung mit einer wunderbar lyrischen Melodie. Erst die Schlussstrophe lässt die Gefährlichkeit und die Gefährdung des literarischen Ich auf- und ausbrechen. Der Doppelgänger bildet – bei Schubert, nicht im heutigen Programm – mit erschütterndem Ausdruck den beängstigenden Abschluss dieser gewaltigen Liedgruppe. Es ist klar, dass Seidls Taubenpost auf diesen Höhepunkt nicht – jedenfalls nicht direkt – folgen kann.

Von den übrigen Seidl-Solo-Vertonungen ist Der Wanderer an den Mond (D 870) das bekannteste und eingänglichste. Es bietet schubertsche Hauptthemen: die Heimatlosigkeit, das Wanderns und die Sehnsucht nach Heimat, hier dem Text entsprechend für einmal in wunderbarer Melodieseligkeit. Wie das Nachbarstück Das Zügenglöcklein wurde es 1827 von Haslinger veröffentlicht. Dieses, ein Strophenlied, welches die Verschiedenartigkeit der Stropheninhalte harmonisch zum Ausdruck bringt, lässt mit dem ruhigen, doch ostinaten Es im Klavier den jedem die Ruhe bringenden Klang der Totenglocke ertönen. Weniger bekannt sind die andern Seidl-Lieder. In den vom Verleger Josef Czerny noch 1828 mit der Opuszahl 105 versehenen vier Liedern gehört Am Fenster zu den lyrisch einfachen; Sehnsucht nimmt die Unruhe des frühen Gretchen am Spinnrad von 1814 wieder auf, wirkt allerdings harmloser. Im vom Herausgeber Thaddäus Weigl dem Textdichter gewidmeten op. 95 ist Bei dir allein mit einem hymnischem Aufschwung verbunden. Der Advokatensohn J. G. Seidl (1804-75) war ein österreichischer Jurist, Archäologe, Gymnasialprofessor und Dichter. Er ist der Verfasser der neuen Textversion von Haydns Kaiserlied als österreichische Nationalhymne.

Einzelgänger im Programm ist das Eingangsstück, das Schuberts Freund Franz Seraph Ritter von Bruchmann (1798–1867) in Übersetzung eines antiken griechischen Gedichts in der Art des Anakreon gedichtet hat. Es zeigt das typische Motiv der Weigerung oder des Unvermögens, ein bestimmtes literarisches Thema zu behandeln. Wie oft sind es die heroischen Themen, die hinter der Liebe zurücktreten müssen (die aber zumindest im heutigen Programm kaum ein Thema ist). Das Lied ist strophenartig gebaut, wird aber gemäss Textinhalt variiert. Schubert stellt die beiden literarischen Themen musikalisch mit heroisch-kraftvollen Akkorden und Leier-Arpeggien bzw. mit einer weichen, triolenbegleiteten Gesangslinie («Liebes-thema») in Gegensatz.

rs