Konzerte Saison 2007-2008

  • 27.11.2007
  • 20:15
  • 82.Saison
  • Zyklus B
Stadtcasino, Hans Huber-Saal

Dietrich Henschel, Bariton Fritz Schwinghammer, Klavier

Dietrich Henschel, 1967 in Berlin geboren, gibt heute zum dritten Mal in unseren Konzerten einen Liederabend. Er wurde in München und Berlin (Meisterklasse Fischer-Dieskau) ausgebildet. Schon während des Studiums war er Preisträger mehrerer Wettbewerbe. Sein Operndebüt gab er als 23-jähriger bei der Münchner Biennale 1990. Es folgten Gastengagements an verschiedenen deutschen Opernhäusern und bei Festivals, so bei den Schubertiaden in Wien und Feldkirch. 1993–95 war er Ensemblemitglied der Kieler Oper und sang dort Papageno, Graf (Nozze), Valentin (Faust), Pelléas und Orfeo (Monteverdi und Gluck). Seit 1996 führten ihn freie Engagements nach Bonn, Stuttgart, Lyon und Berlin (Deutsche Oper), wo er 1997 Henzes Prinz von Homburg sang. 1999 war es die Rolle des Faust, die er mehrfach interpretierte: in Schumanns „Faustszenen“ mit Gardiner in London und Luzern, in Busonis „Dr. Faust“ in Lyon, Berlin und Paris unter Kent Nagano (auch auf CD eingespielt). 2002 der Don Giovanni in Köln. Im Opernhaus Zürich war er 2002 als Odysseus in Monteverdis Il ritorno d’Ulisse in patria unter Nikolaus Harnoncourt zu sehen. Weitere wichtige Rollen sind u.a. Wozzeck, Beckmesser und eine Reihe von Mozart- und Strauss-Partien. Als Konzertsänger ist er mit vielen Spitzenensembles und berühmten Dirigenten aufgetreten. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Liedgesang. Mit Irwin Gage hat er im Sommer 2000 „Die Winterreise" vielerorts in Europa szenisch aufgeführt, was grosses Aufsehen erregte. Bei uns hat er sie am 7. November 2000 zusammen mit Gage mit grossem Erfolg aufgeführt. Sie liegt inzwischen auf CD vor. Schon 1992 hat er bei der Gesamtaufnahme der Schoeck-Lieder mitgewirkt. Wolfs Mörike-Lieder hat Henschel mit Franz Schwinghammer, Mahlers Rückert- und eine Auswahl der Wunderhorn-Lieder (Orchesterfassung) unter Nagano eingespielt. Viel gelobt wurde die Aufnahme von Korngold-Liedern (mit Helmut Deutsch), darunter als Ersteinspielung das rekonstruierte „op. 5“.

Fritz Schwinghammer, geboren in Straubing, studierte in München Klavier, Kammermusik und Liedinterpretation. Er erhielt Auszeichnungen bei Wettbewerben in Berlin und Bonn und war Teilnehmer der Bundesauswahl "Konzerte Junger Künstler". Als Liedbegleiter sowie als Klavierpartner bedeutender Instrumentalisten folgten regelmäßig Einladungen zu bedeutenden Musikfestivals; u. a. verpflichtete ihn Hermann Prey für einige seiner letzten Liederabende. In Meisterkursen arbeitete er mit Sängern wie Dietrich Fischer-Dieskau, Inge Borkh, Sena Jurinac und Francesco Araiza zusammen. Heute zählt Fritz Schwinghammer zu den führenden Kammermusik- und Lied-Pianisten der jüngeren Generation, seine Konzerttätigkeit führt ihn ausser in die meisten europäischen Länder auch in die USA, nach Kanada und Japan. Sein Interesse gilt neben dem klassisch-romantischen Repertoire auch der zeitgenössischen Musik, so wirkte er an zahlreichen Uraufführungen mit, u. a. bei Werken von Michael Gielen und Jean Françaix, der ihm sein letztes Trio widmete. Fritz Schwinghammer spielte diverse CDs ein und leitet an der Münchner Musikhochschule eine Klasse für Klavier und für Liedinterpretation. Mit Dietrich Henschel verbindet ihn seit ihrem gemeinsamen Studium in München eine enge künstlerische Partnerschaft.

(Spät-) Romantische Hommage an Eichendorff

Gestern jährte sich Eichendorffs Todestag zum 150. Mal – ein guter Grund für ein Programm mit Vertonungen seiner Gedichte. Dabei darf man die Frage stellen, warum es so wenige Eichendorff-Vertonungen gibt. Vielleicht ist die Frage falsch gestellt, denn selten sind sie nicht, mag auch die Zahl hinter den Goethe- oder Heine-Vertonungen zurückbleiben. Richtiger müsste man fragen: Warum gibt es so wenige bekannte Eichendorff-Vertonungen? Überspitzt ausgedrückt: Es sind genau 13, die einen hohen Bekanntheitsgrad aufweisen: die zwölf aus Schumanns op. 39 und Im Abendrot, das vierte der Vier letzten Lieder von Richard Strauss von 1948 (!), als es mit der Romantik endgültig zu Ende war. Eichendorff, am 10. März 1788 im „waldumrauschten Schloss Lubowitz bei Ratibor“ in Oberschlesien geboren, führte, abgesehen von der Jugend- und Studienzeit und der Teilnahme an den Befreiungskriegen, ein wenig romantisches Leben. Er, der am liebsten Geschichtsprofessor geworden wäre, diente als Jurist dem Preussenstaat als Gutachter und Regierungsrat. Das Romantische, das wir mit ihm verbinden, lebte er, vor allem zwischen 1810 bis 1841, in seiner literarischen Betätigung aus.

Neben den genannten Vertonungen kennt der Liedfreund noch ein paar von Mendelssohn, die drei weiteren von Schumann oder solche von Brahms, obwohl sie kaum Bedeutung erlangt haben. Robert Franz (1815-1892) ist vergessen, Pfitzner mit seinen zum Teil eindrücklichen Vertonungen (inklusive der Kantate „Von deutscher Seele“) hat man verdrängt. Othmar Schoeck, dessen 50. Todestag eine Aufnahme in ein Eichendorff-Programm nahe gelegt hätte, nimmt man selbst hierzulande wenig wahr. Strauss hat noch einige Chorlieder geschrieben, so 1927 Die Tageszeiten für Männerchor und Orchester. Wir stellen fest, dass Eichendorff weniger namhafte Komponisten gefunden hat, und wenn es solche waren, dann stehen ihre Eichendorff-Vertonungen eher am Rand. Warum hat Schubert kein Eichendorff-Gedicht vertont? Eichendorff studierte 1810-1812 in Wien und dichtete bereits (O Täler weit, o Höhen entstand 1810, Ahnung und Gegenwart mit einer grossen Zahl von Gedichten erschien 1815), wenn auch die Gesamtausgabe der Gedichte erst 1837 veröffentlicht wurde. Wusste Schubert nichts von ihm oder wollte er ihn nicht vertonen?

Liegt es vielleicht an Eichendorff selbst? Sein auch in der Prosa lyrisches Wesen, das sich mit einer einzigartigen Wärme und Klangfülle der Sprache verbindet, hat den Dichter beliebt gemacht, aber vielleicht das Vertonen erschwert. Eichendorffs Lyrik ist bereits Musik. Es scheint, als habe er den Klang seiner Worte als Melodie gehört, wie es eine Gedichtstrophe aus dem Nachlass nahe legt: Halb Worte sind’s, halb Melodie, / Was mir durchs Herze zieht, / Weiss nicht, woher, wozu und wie, / Mit einem Wort: ein Lied. Hat diese Klangsinnlichkeit Komponisten von der Vertonung Eichendorffs abgehalten oder sie, wenn sie es trotzdem taten, nicht zur Höchstform finden lassen? So bleiben wenige Eichendorff-Lieder, welche wirkliche Spitzenwerke sind.

Schumanns Opus 39 („mein Allerromantischstes“) darf man einen der grandiosesten Liederzyklen nennen, zumindest unter denen, welche nicht novellenhaft eine Geschichte zu erzählen scheinen (wie Schuberts Müllerin oder Winterreise und Schumanns Dichterliebe). Über diese Lieder muss man nichts sagen; sie wirken von alleine und lassen all das aufblühen, was wir uns unter Romantik vorstellen. Sie wirken mit dem, was Eichendorffs lyrische Sprache ausmacht: mit einem vollen, mal verhaltenen, mal überschwenglichen Klang zum Ausdruck romantischer Gefühle. Schumann hat die Gedichte nicht selber ausgewählt hat, sondern auf eine Zusammenstellung Claras von 13 Gedichten aus dem Jahre 1837 zurückgegriffen. Das Lied Wem Gott will rechte Gunst erweisen aus dem Taugenichts hat er komponiert, aber ausgeschieden und später separat veröffentlicht (op. 77/1). Die Schumanns haben Eichendorff anlässlich ihrer Konzertreise nach Wien im Dezember/Januar 1846/47 getroffen.

Der junge, gerade 19jährige Brahms hat sich, noch bevor er die Schumanns kennen lernte, an Eichendorff-Vertonungen gewagt. Zwei decken sich mit Schumanns op. 39 – und da hat Brahms (bei aller Bewunderung für seine Liedkunst) keine Chance. Sein etwas gesuchter Volksliedton schafft nicht, was Schumann bei In der Fremde und erst recht in Mondnacht wunderbar gelungen ist: Wort und Ton zu einer überwältigenden Stimmung zu verbinden. Aber wer kann es mit Schumanns Mondnacht aufnehmen? Nicht umsonst gilt sie als eines der schönsten, wenn nicht gar als das schönste Lied der Romantik. Thomas Mann hat sie „wenigstens als Schumannsches Lied die Perle der Perlen“ genannt.

Wolf, dessen Eichendorff-Lieder zahlenmässig und im Bekanntheitsgrad hinter den Mörike- und Goethe-Vertonungen zurückstehen, hat schon zwischen 1880 und 1883 Eichendorff-Gedichte vertont, darunter Nachruf (Du liebe treue Laute) oder In der Fremde VI (Wolken, wälderwärts gegangen). Zwei davon (Erwartung / Die Nacht) hat er 1889 in seine 20 Stücke umfassende Ausgabe der Eichendorff-Lieder aufgenommen, sie später aber wieder ausgeschieden. Erst 1887 hatte er die „keck humoristische, derb-sinnliche Seite des Dichters, welche ziemlich unbekannt“ entdeckt.

Das Wunderkind Korngold, dessen Todestag sich übermorgen zum 50. Mal jährt, hat 1911 als 14jähriger 12 Eichendorff-Lieder vertont und sie seinem Vater zum Geburtstag geschenkt. Er wollte sie wohl veröffentlichen. Auf das Deckblatt schrieb er „op. 5 So Gott und Papa will“. Doch offenbar wollte Papa nicht! So kam das geplante, bis vor kurzem unveröffentlichte, jetzt von Helmut Deutsch rekonstruierte op. 5 trotz raffinierter Harmonik und sprühender Erfindungsgabe nicht Eichendorff zugute, sondern der üppig umfangreichen Sinfonietta. Mit Orchesterwerken – dachte wohl Papa – könne das Wunderkind grössere Erfolge feiern als mit Liedern. Die drei dargebotenen Lieder, wohl die gelungensten aus dem Zyklus, übernahm der junge Komponist 1916 in seine sechs Einfachen Lieder op. 9. Er hat sie 1912 in Frankfurt in der Klavierfassung zur Uraufführung gebracht und sie auch orchestriert.

Dem „letzten Romantiker“ Pfitzner gelingt in seinen über 100 Liedern der Rückgriff auf den romantischen Ton, mal näher bei Schumann, mal bei Wolf, oft eigenständig. Die zwei aufgeführten Lieder könnten gegensätzlicher nicht sein: Zorn ein pathetisch-empörtes Stück, Sonst eine Genre-Szene, in welcher der Komponist Eichendorffs gekünstelt-ironische Sprache musikalisch aufgreift bis hin zum leicht holprigen Spiel der Rokoko-Spieluhr.

Der völlig unbekannte Robert Gund (auch: Gound) wird von seinem Biographen E.-J. Dreyer als „ein vergessener Meister des Liedes“ bezeichnet. Er war ein ausserehelicher Sohn des Komponisten Robert von Hornstein, dem Wagner mehrfach begegnet ist und den er in Mein Leben recht respektlos charakterisiert. 1904 wurde er zusammen mit Zemlinsky und Schönberg Vorstandsmitglied der Vereinigung schaffender Tonkünstler Wien; Ehrenpräsident wurde damals Gustav Mahler. Lassen wir uns von diesem trotz so illustrer Umgebung Unbekannten überraschen!

rs