Konzerte Saison 2005-2006

  • 14.2.2006
  • 20.15
  • 80.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino, Hans Huber-Saal

St. Petersburg Streichquartett (St. Petersburg)

Das 1985 von Absolventen des Leningrader Konservatoriums unter der Obhut von Vladimir Ovchrarek als Quartett dieser Institution gegründete Ensemble gewann zahlreiche Preise. 1989 wurde ihm der Name Leningrad Streichquartett gestattet; seit 1991 heisst es St. Petersburg Streichquartett. Im Januar 2005 kam der Bratschist Boris Vayner neu hinzu. Nachdem die Mitbegründerin Alla Krolevich 1988 nach Israel emigriert war, kehrte sie im Oktober 2005 ins Quartett zurück, so dass sich drei der Gründungsmitglieder wieder zusammengefunden haben. In den USA wird das Ensemble, von 1999-2003 Quartet in Residence in Oberlin/Ohio, auf Grund seiner Konzerte und Platten von der Kritik in den höchsten Tönen gefeiert. Das St. Petersburg Streichquartett trat erstmals am 12. März 2002 in unseren Konzerten auf mit Werken von Schostakowitsch (Nr. 4), Nadarejshvili und Tschaikowski (Nr. 2). Als CD-Einspielungen erschienen u.a. Streichquartette von Prokofieff, Schostakowitsch und Zurab Nadarejshvili. Die Aufnahmen werden in diesem Jahr mit Werken von Dvo5rák und Mendelssohn sowie einer Gesamtaufnahme der Kammermusik Tschaikowskys weitergeführt.
Das 11. Quartett Schostakowitschs ist dem Andenken Wassili Schirinskis gewidmet, eines Jugendfreunds, der auch als langjähriger 2. Geiger im Beethoven-Quartett (es hat alle Quartette Schostakowitschs ausser dem ersten uraufgeführt) mit dem Komponisten eng verbunden war. Es ist kein umfangreiches und heroisches Trauerstück geworden, sondern bildet in origineller aphoristischer Suitenform eine Huldigung an den vielseitigen Musiker Schirinski. Die kurzen, attacca ineinander übergehenden Stücke enden jeweils morendo im pianissimo. Natürlich ist die Elegie Trauermusik, aber auch andere Sätze wie das Rezitativ mit seiner Choralanspielung nehmen diese Trauer auf. Wieder andere wie das durchweg leise gehaltene Scherzo, die Etüde oder die Humoreske (ein Satztitel, der in einem Werk der Trauer irritiert) spielen mit Facetten des Lebens und des Lebensendes, von Lebenssinn und Vergeblichkeit. Schostakowitsch geht von einem in der Introduktion vom Cello vorgestellten mottoartigen Motiv aus. Das Werk verzichtet auf reine Tonalität und signalisiert Schostakowitschs damaliges Interesse an anderen Kompositionstechniken: Er beginnt sich intensiv mit der Zwölfton- und Reihentechnik auseinanderzusetzen.

Am 9. November 1822 bat Fürst Nikolaus Galitzin Beethoven, für ihn «un, deux ou trois nouveaux Quatuors» zu schreiben. Die Anfrage kam Beethoven nicht ungelegen. Bereits am 5. Juni 1822 hatte er dem Verlag Peters ein Quartett in Aussicht gestellt, das spätere op. 127. Er widerrief das Angebot, da mir etwas anderes dazwischen gekommen: Es waren die Missa solemnis und die 9. Sinfonie. Im Februar 1824 nahm er die Arbeit am Quartett wieder auf und schloss es ein Jahr später ab. Noch während dieser Arbeit, wohl im Herbst 1824, konzipierte Beethoven zwei weitere Quartette, op. 132 und op. 130. Das viersätzige Opus 127 ist leichter fasslich als die drei folgenden Quartette. Der erste Satz bringt nach sechs Maestoso-Takten teneramente ein lang ausgesponnenes, klar gegliedertes Thema in einer lyrischen Melodie. Trotz seinem Seitensatz in g-moll und trotz der mehrfachen Wiederaufnahme des Maestoso-Teils wirkt der Satz wie eine Idylle. Es folgt eine Variationenreihe über ein weitgespanntes, rhythmisch einheitliches, kanonartig einsetzendes Thema; ihr Charakter wechselt zwischen Unruhe, Munterkeit und Ekstase. Das Scherzo ist von nervöser Unrast geprägt; kontrapunktische Arbeit in geflüstertem Piano hat gespenstische Züge. Das Trio wird von fahrigen Violinpassagen und stampfenden Tänzen bestimmt. Das Finale ohne Tempobezeichnung alla breve wirkt volkstümlich, manchmal fast derb, bevor es in der ausgedehnten Coda (Bezeichnung unklar: Allegro con moto oder comodo), die im Charakter eher einem comodo als einem con moto entspricht, in lyrischer Expressivität schliesst.

Schostakowitschs 12. Quartett bildet Konsolidierung und Neubeginn; es leitet die Reihe der letzten Quartette ein. Dass Schostakowitsch die Beschäftigung mit der Zwölftontechnik nicht zum Dogma machte, zeigt der Beginn. Das Cellomotiv ist zwar zwölftönig, doch es wird nicht seriell genutzt, sondern thematisch. Auch die Tonalität verschwindet letztlich nicht: Das Werk beginnt und endet in Des-dur. Hinter der Zweisätzigkeit mit einem gegenüber dem 1. Satz dreimal längeren zweiten verbirgt sich eine komplexe Struktur. H. Keller hat das gesamte Werk in fünf Teile, darunter den 2. Satz in vier Teile (II–V) aufgliedert: I 1. Satz, Exposition (Moderato) // 2. Satz: II Scherzo (Allegretto) / III Langsamer Satz (Adagio) / IV Durchführung (Moderato) / V Finale als Reprise (Moderato – Allegretto). Schostakowitsch sah im 1. Satz «die Welt hoher Ideale. Der 2. Satz stellt ein beunruhigendes Scherzo dar, eine Agonie, die unfähig ist, die Widersprüchlichkeit des Lebens zu lösen».

rs

Dmitrij Schostakowitsch 1906-1975

Streichquartett Nr. 11, f-moll, op. 122 (1966)
Introduktion: Andantino –
Scherzo: Allegretto –
Rezitativ: Adagio –
Etüde: Allegro –
Humoreske: Allegro –
Elegie: Adagio –
Finale: Moderato

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 12, Es-dur, op. 127 (1822–25)
Maestoso – Allegro
Adagio, ma non troppo e molto cantabile – Adagio molto espressivo
Scherzando vivace – Allegro – Tempo I – Presto
Finale: (ohne Tempobezeichnung) – Allegro comodo

Dmitrij Schostakowitsch 1906-1975

Streichquartett Nr. 12, Des-dur, op. 133 (1968)
Moderato
Allegretto