Konzerte Saison 2001-2002

  • 22.4.2002
  • 20.15
  • 76.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino, Festsaal

Emerson String Quartet (New York)

Das Emerson Quartett ist heute nicht mehr das einzige Quartett, bei dem regelmässig der erste und zweite Geiger ihre Positionen tauschen – aber es ist sicher das grossartigste und bedeutendste, das diese Eigenschaft konsequent pflegt. Mitte der siebziger Jahre von Musikern der Generation der ersten Hälfte der fünfziger Jahre unter dem Patronat von Robert Mann (Juilliard String Quartet) gegründet und nach dem amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson (1803–1882), dem Begründer des amerikanischen Transzendentalismus benannt, hat es inzwischen die höchsten Stufen der Quartettkunst erklommen. Sein Ruf und seine Interpretationen bilden heute Referenzstandard. Es gilt nicht nur unter den amerikanischen Quartetten als das Ausnahme-Ensemble, sondern gehört weltweit zu der ganz schmalen Spitzengruppe der bedeutendsten Quartette. Es gastiert heute zum sechsten Mal bei uns. Zuletzt spielte es vor zwei Jahren Schostakowitsch Nr. 14 und Beethoven op. 131 und 133.

Philip Setzer spielt die 1. Violine in Bartók und Schostakowitsch.

Die drei grossen Quartettkomponisten der Moderne

Bartóks knappstes, konzentriertestes Quartett war damals das kühnste seiner Werke und durfte als repräsentativ für moderne Musik gelten, selbst im Vergleich mit den Werken des Schönberg-Kreises. Adorno hielt es damals für «fraglos die beste von des Ungarn bisherigen Arbeiten» und bewunderte die «Formkraft des Stückes, die stählerne Konzentration, die ganz originale, aufs genaueste Bartóks aktueller Lage angemessene Tektonik». Die Recapitulazione bildet die Reprise des 1. Satzes, die Coda nimmt, ebenfalls reprisenhaft, Material der Seconda parte wieder auf. Dies ergibt eine ungeheure Geschlossenheit. Dazu kommt, dass die Motive auf zwei oder drei beschränkt sind; aus ihnen wird das gesamte Material des ganzen Werkes abgeleitet. Neu ist vor allem die Lösung von romantischen und vordergründig folkloristischen Anklängen und besonders die in ihren harmonischen Schärfen und in der kontrapunktischen Kompromisslosigkeit noch nie gehörten, dem Streicherklang bisher fremden Farben.

Das letzte Quartett Schostakowitschs gilt dem Andenken von Sergej Schirinski, dem 2. Geiger des Beethoven-Quartetts, das alle vorangehenden Quartette uraufgeführt hatte. Ihm hatte er das 14. Quartett gewidmet. Schostakowitsch sagte einmal: Ich möchte keine Widmungen mehr. Als ich das 13. Quartett Borissowski zugedacht habe, starb mein Freund kurz darauf. Um mich kreist der Tod, einen nach dem andern nimmt er mir, nahestehende und teure Menschen, Kollegen aus der Jugendzeit. In dieser Stimmung entstand das 15. Quartett mit seinen sechs Adagios. Bezüge zur Jugendzeit gibt es in Form von Rückgriffen auf Themen aus den Aphorismen von 1927; trotzdem ist das Quartett ein Werk des Abschieds, der Todesgedanken und der Resignation. Dies wird spürbar in der bereits in den vorangehenden Quartetten aufscheinenden Reduktion und Verinnerlichung. Die Sprache ist sublimiert, mysteriös und geradezu asketisch. Dies fühlt man schon im Fugato des 1. Satzes, wo die frische Bewegung dieser Form dem Wirken des einzelnen Tones und einer langsamen Folge von Klagegesten gewichen ist. In der Serenade ergibt sich in scharf abgesetzten Klängen bis hin zum Walzer über die Stimmen hinweg eine Zwölftonreihe. Das kurze Intermezzo gibt sich rezitativisch. Das Nocturne mit seiner Bratschenkantilene setzt sich vom fahlen Trauermarsch ab, bereitet ihn aber im pizzicato bereits vor. Der Epilog spielt mit Reminiszenzen an die früheren Sätze und gewinnt in Zweiunddreissigstel-Läufen scheinbar Bewegung. Doch dann zerbricht alles bis auf eine kurze Bratschen-Melodie – Vorahnung von Schostakowitschs letztem Werk, der Bratschen-Sonate op. 147, die eineinhalb Monate nach seinem Tod erstmals gespielt werden sollte?

Mit Beethovens Opus 59 begann das moderne Streichquartett. Das erste und zweite wirkten damals schockierend, wogegen das dritte etwas weniger kühn erscheint. Es ist das kürzeste und konzentrierteste der drei Schwesterwerke. Gleichwohl bildet es eine Synthese der modernen Errungenschaften der Quartettkomposition. Mag die Wiederaufnahme einer langsamen Einleitung zunächst als Rückgriff auf die Tradition erscheinen, so zeigt (gemäss A. Werner Jensen) die Art, wie dies hier geschieht, mehr einen Traditionsbruch als eine Fortführung gewohnter Formen. Ebenso überraschend ist das virtuose, attacca an das Menuett anschliessende Finale, eine Verbindung von Sonatensatz und Fuge. Gerade diese nicht regelkonforme Fuge hat Beethoven nicht wenig Kritik eingetragen, beweist aber gleichzeitig die Kühnheit und Modernität dieses für uns Heutige so klassisch wirkenden Werkes.

rs

Béla Bartók 1881-1945

Streichquartett Nr. 3, Sz 85 (1927)
Prima parte: Moderato –
Seconda parte: Allegro –
Recapitulazione della 1a parte: Moderato
Coda: Allegro molto

Dmitrij Schostakowitsch 1906-1975

Streichquartett Nr. 15, es-moll, op. 144 (1974)
Elegie: Adagio –
Serenade: Adagio –
Intermezzo: Adagio –
Nocturne: Adagio –
Trauermarsch: Adagio molto –
Epilog: Adagio

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 9, C-dur, op. 59, Nr. 3 «3. Rasumovsky-Quartett» (1806 ?)
Introduzione: Andante con moto – Allegro vivace
Andante con moto quasi allegretto
Menuetto (grazioso) mit Trio –
Allegro molto